Stress lass nach: An Rückenschmerzen ist oft die Psyche schuld
Rückenschmerzen kennt nahezu jeder, denn rund drei Viertel der Bevölkerung haben im Lauf ihres Lebens damit zu tun. Und meist stecken nicht nur körperliche Ursachen dahinter.
Oftmals sind Rückenschmerzen psychosomatisch bedingt. Damit ist gemeint, dass psychische Probleme sich in körperlichen Leiden Ausdruck verschaffen: "Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Ursachen für chronische Rückenschmerzen meist im psychosozialen Bereich liegen", sagt Professor Michael Pfingsten von der Schmerztagesklinik der Universität Göttingen.
Psychosomatische Rückenschmerzen durch Stress
Meist ist Stress im Spiel. So ergab eine europäische Untersuchung zu Arbeitsbedingungen, der "European Work Conditions Survey" von 2005, dass über 70 Prozent der Menschen mit Rückenschmerzen auch über Stress berichten. Das kann zum Beispiel Mobbing am Arbeitsplatz sein. So hat Professor Heinz Leymann in seinen Untersuchungen zum Thema festgestellt, dass Rückenschmerzen bei 44 Prozent der Betroffenen zu den Mobbing-Symptomen zählen.
Auch Stress in der Familie kann auf den Rücken schlagen, so zählen Probleme mit den Kindern, der Auszug des Nachwuchses aus dem Elternhaus oder Probleme in der Partnerschaft bis hin zur Trennung zu den Stressfaktoren. Ein unverarbeitetes Erlebnis, etwa der Tod einer nahestehenden Person, kann ebenso ein Auslöser von Rückenschmerzen sein. Schuld daran ist unter anderem eine ständig erhöhte Alarmbereitschaft und die daraus resultierende Muskelanspannung.
Mehr psychische Störungen unter Rückenschmerzpatienten
In einer Studie aus dem Emirat Katar hatten Wissenschaftler aus 2.180 Patienten im Alter zwischen 15 und 65 Jahren mit wissenschaftlichen Fragebögen diejenigen mit Rückenschmerzen sowie Patienten mit psychischen Erkrankungen herausgefiltert. Unter Depressionen litten 13,7 Prozent der Patienten mit Rückenschmerzen.
Bei den Patienten, die keine Kreuzschmerzen hatten, waren es dagegen nur 8,5 Prozent. Auch die Rate der Personen mit Angststörungen oder psychosomatischen Beschwerden war bei den Studienteilnehmern mit Rückenschmerzen erhöht: Unter Angststörungen litten 9,5 Prozent gegenüber 6,2 Prozent in der rückenschmerzfreien Vergleichsgruppe, unter psychosomatischen Störungen 14,9 Prozent gegenüber 8,3 Prozent.
Unerkannte Depression bei chronischen Rückenschmerzen
Noch enger ist der Zusammenhang zwischen chronischen Rückenschmerzen und psychischen Störungen. Das belegt eine weitere aktuelle Studie aus Spanien. Ein Forscherteam um Alejandro Salazar von der Universität in Cádiz hatte 1.006 Patienten mit chronischen muskuloskelettalen Schmerzen untersucht, die in allgemeinmedizinischer Behandlung waren. Die häufigste Form von muskuloskelettalen Schmerzen, also Muskel- und Gelenkschmerzen, sind Rückenschmerzen.
Mit Hilfe von Fragebogentests bestimmten die Wissenschaftler nun diejenigen Patienten, die zusätzlich an einer affektiven Störung litten. Darunter sind psychische Störungen zu verstehen, die über einen längeren Zeitraum hinweg Gemütslage und Antrieb der Betroffenen beeinträchtigen. Dazu gehören beispielsweise Depressionen.
Schlafstörungen durch Rückenschmerzen häufig
Bei keinem der Patienten war vor Beginn der Studie eine Gemütskrankheit festgestellt worden. Umso erschreckender die Ergebnisse der Tests: Bei knapp 75 Prozent der Untersuchten lag eine zuvor nicht diagnostizierte affektive Störung vor. Fast 50 Prozent der Studienteilnehmer litt beispielsweise an einer typischen Depression. Der Mehrzahl der Patienten machten zudem Schlafstörungenaufgrund der Schmerzen zu schaffen.
Die Studienautoren folgerten aus den Ergebnissen, dass gerade Hausärzte bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und anderen muskuloskelettalen Beschwerden einen stärkeren Fokus auf Schlafstörungen und Gemütserkrankungen legen sollten, um diese psychischen Störungen bei der Therapie berücksichtigen zu können.
Dass darin ein Schlüssel für eine erfolgreiche Rückenschmerztherapie liegen kann, bestätigen Ärzte der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg. Sie setzen schon seit langem auf eine multimodale Schmerztherapie, die ärztliche sowie physio-, ergo- und psychotherapeutische Behandlungen zusammenfasst.
Rein körperliche Therapie bei Rückenschmerzen ist veraltet
Es reicht daher nicht, sich bei der Schmerzbekämpfung nur auf die Symptombehandlung zu konzentrieren. "Rückenschmerz entsteht nie nur durch einen einzigen Faktor allein", erläutert Pfingsten, "körperliche und psychische Faktoren ergänzen sich." Gerade deshalb sei die rein körperliche Behandlung von Rückenschmerzen veraltet.
Lediglich "eine Spritze in den Rücken oder eine bestimmte Tablette sind in den meisten Fällen nicht sinnvoll", erklärt der Göttinger Psychologe. Stattdessen sei wichtig, dass der Rückenschmerz durch eine Kombination aus körperlichem Training und Psychotherapie behandelt werde. "Genannt wird das multimodale Therapie: Ein Arzt, ein Physiotherapeut und ein Psychologe behandeln dabei gemeinsam den Rückenschmerz."
Familie und Freunde mit ins Boot holen
Auch das persönliche Umfeld sollte bei psychosomatischen Erkrankungen dafür sensibilisiert werden, den Stress eines Betroffenen zu reduzieren. "Gerade bei chronischen Rückenschmerzen ist es deshalb wichtig, mit Angehörigen, Freunden oder dem Hausarzt über das momentane Stressniveau zu reden", sagt Psychologe Pfingsten aus Göttingen.
Betroffene reagieren auf Schmerzen oft ängstlich, nehmen nicht mehr am alltäglichen Leben teil und ziehen sich zurück. "Menschen mit Rückenschmerzen tun oft nicht das Richtige", urteilt der Professor: Um den Rücken zu schonen, vermeiden sie Bewegung und Aktivität. Dabei sei Sport genau richtig, um Rückenschmerzen zu bekämpfen, denn "ansonsten gerät man schnell in einen Schonungskreislauf, der die Rückenschmerzen eher verschlimmert." Es sei wichtig, trotz der Schmerzen möglichst schnell zum normalen Tagesablauf zurückzukehren.
Sanfte Methoden statt unnötiger Operationen
Wer über einen längeren Zeitraum Rückenschmerzen hat und vielleicht auch Schmerzmittel nimmt, sollte unbedingt zum Arzt gehen. Am besten sucht man nach einem Schmerztherapeuten, der die vielfältigen Ursachen von Rückenschmerzen erkennt und therapiert. Denn Operationen, zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall, sind nur in den seltensten Fällen sinnvoll. Oft hilft Betroffenen Physiotherapie und Entspannung.
Regelmäßige Entspannungstechniken hilfreich
Dafür nimmt man sich am besten 15 bis 30 Minuten täglich Zeit. Es gibt verschiedene Methoden: Eine ist die progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Dazu legt man sich hin und spannt nacheinander von Kopf bis Fuß alle Teile des Körpers, die den Boden berühren, für ein paar Sekunden an. Zunächst sollte man die Körperpartien für vier Sekunden anspannen und sich mit mehr Übung auf etwa sieben Sekunden steigern. Nach dieser Phase lässt man die jeweilige Muskelpartie vollkommen entspannen. Mit etwas Übung klappt es mit der Entspannung auch im Sitzen oder im Stehen.
Darüber hinaus sollten körperliche Übungen zur Kräftigung der Muskulatur und zum Beispiel Yoga oder autogenes Training zur seelischen Entspannung zum Einsatz kommen. Dafür legt oder setzt man sich hin und schließt die Augen. Dann beginnt man, sich verschiedene Sätze in Gedanken aufzusagen. Zum Beispiel: "Meine Arme sind ganz schwer" oder "Mein ganzer Körper ist wohlig warm". Mit ein bisschen Übung fühlen sich die Arme wirklich schwer und der Körper tatsächlich warm an. Um die Entspannung wieder zu lösen, sollte man tief Luft holen, die Arme fest an den Körper heranziehen und die Augen wieder öffnen.